Konzertkritik


zum Konzert vom 9./10. November 2019, Samuele - Oratorio in due parti von Giovanni Simone Mayr

Brief von Walter Kläy, Musikjournalist und ehemaliger Kulturredaktor DRS 2, an Ruedi Rychard

 

Lieber Ruedi,

Nach dem Konzert des Orpheus-Chors möchte ich dir hier meine Gedanken zum Konzert vom letzten Sonntag mitteilen.

Insgesamt gehört dir, dem Chor und den Solisten ein grosses Lob! Eine solche «Ausgrabung» aufzuführen ist schon fast eine Heldentat. Es handelt sich ja eigentlich um eine Oper in Form eines Oratoriums, also eine sehr komplexe Ausgangslage, schon nur deshalb ist eine adäquate Interpretation äusserst schwierig. Aber du hast das schier Unmögliche geschafft, auch die zahlreichen Abstufungen vom Secco- zum Accompagnato-Rezitativ und zu den chorischen Passagen wurden sehr differenziert dargestellt, und das mit einem Laienchor, der deine Intentionen umsetzten konnte. Natürlich schufen die Texte von Hans Peter Friedli und Walter Dietrich einen guten Zusammenhalt, so dass der nicht informierte Zuhörer (wie ich) dem Ganzen folgen konnte. Die Solistinnen und Solisten fand ich überdurchschnittlich gut, vor allem Lisa Läng, die gestalterisch, stimmlich wie auch punkto Intonation nicht nur eine absolute Spitzenleistung ablegte, sondern dazu auch noch sympathisch war, mit einer grossen Ausstrahlung.

 

Für mich war es eine Nachhilfestunde in Musikgeschichte. Erstens kannte ich Mayr bisher nur als Lehrer von Donizetti und erfolgreichen Opernkomponisten seiner Zeit, zweitens wurde mir klar, wie gross die Distanz zwischen Mayr und «erfolgreicheren» Komponisten seine Zeit (von Haydn bis Donizetti und Mozart) ist. Denn dass Mayrs Opernschaffen nach seinem Tod bald dem Vergessen anheimfiel, wurde mir angesichts der stark schwankenden Qualität seiner Musik klar. Da stehen kompositorisch und künstlerisch hoch interessante Partien neben absoluten Banalitäten, die Rezitative (nicht die Accompagnati) sind sehr simpel, fast schematisch und ohne Aussagekraft.

Vielleicht könnte man bei weiteren Aufführungen noch einige mehr weglassen, was du ja schon am Sonntag gemacht hast.

Summa summarum: du hast mir und dem Berner Publikum ein hochinteressantes Werk in einer hervorragenden Aufführung geboten, und ich danke dir ganz herzlich dafür!

 

PS:  Dass weder der «Bund» noch die «Berner Zeitung» es für nötig fanden, diesem Ereignis auch nur eine Zeile zu widmen, ist sehr bedauerlich aber bei der gegenwärtigen Tendenz dieser Zeitungen nicht erstaunlich.